Toxische Männlichkeit erklärt: Warum ist sie so gefährlich?

von | Stand: 8. Mrz 2024

Toxische Männlichkeit erklärt: In diesem Beitrag erfährst du, was sich hinter dem Begriff verbirgt, wie du sie erkennst und warum ein „falsches“ Verständnis von Männlichkeit so gefährlich ist.

30 Sekunden Zusammenfassung

  • Der Begriff Toxische Männlichkeit beschreibt ein destruktives und gefährliches Verhalten, das auf einem Konstrukt traditioneller Männlichkeitsbilder basiert.
  • Toxische Männlichkeit kommt in der Familie, in Beziehungen, am Arbeitsplatz, im Netz und in der Öffentlichkeit vor.
  • Es handelt sich um ein Phänomen und eine Verhaltensweise, bei der stereotype und repressive Vorstellungen der männlichen Geschlechterrolle dominieren.
  • Diese Verhaltensform ist gefährlich für Frauen, Kinder, die Gesellschaft – und sogar die Männer selbst.
  • Nicht nur Männer, sondern auch Frauen reproduzieren mitunter ein toxisches Verständnis von Männlichkeit.
  • Im Beitrag erfährst du, was sich hinter toxischer Männlichkeit verbirgt, welche Anzeichen es gibt und wie du auf Warnsignale reagieren kannst.

Was ist toxische Männlichkeit?

Der Begriff Toxische Männlichkeit (auch “Toxic “Masculinity” genannt) beschreibt per Definition das destruktive und aggressive Verhalten von heterosexuellen Männern, das mit einem traditionellen Männlichkeitsbild einhergeht.

Männlichkeit an sich ist ein Konstrukt,  das auf sozialen und kulturellen Normen beruht. Dieses hat sich über Generationen und Kulturkreise hinweg entwickelt, etabliert und verschiedene Ausprägungen angenommen.

Bitte nicht falsch verstehen: Das heißt nicht, dass Männer per se toxisch sind, sondern dass stereotype und repressive Vorstellungen der männlichen Geschlechterrolle gefährlich sein können. Mitunter reproduzieren übrigens auch Frauen (beispielsweise Mütter) destruktive Klischees von “Männlichkeit”.

Das Konzept toxische Männlichkeit wird leider oft missverstanden. Es geht nicht um ‚,Männer” (biologisches Geschlecht), sondern um ‚,Männlichkeit” (gesellschaftliches Konstrukt). Das heißt, um das Verhaltensmuster, die Selbstwahrnehmung, das Selbstwertgefühl und das Rollenverhalten.

Das Konzept beschreibt die verkörperten Werte, die traditionell zum ,,Mann-sein” oder ,,zum Mann-werden” dazu gehören und schädlich sind – für sie selbst, für Frauen, für Kinder und für die Gesellschaft.

Bei toxischer Männlichkeit handelt es sich um männliche Merkmale und Eigenschaften, die vor allem Dominanz, die Abwertung von Frauen, Homophobie und Gewaltbereitschaft fördern.

Dieses durchaus gefährliche Konzept von Männlichkeit basiert auf dem Wunsch nach Stärke, Macht, sexueller Potenz und Unabhängigkeit. Verkörpert ein Mann diese Eigenschaften nicht, gilt er laut dieser toxischen Maskulinität nicht als “richtiger Mann”. Für Gefühle und Emotionalität ist meist kein Platz.  

Dabei werden Emotionen, die dem traditionellen Männerbild nicht entsprechen, als “schwach” und “weiblich” eingeordnet.

Höre dir sehr gerne auch meine Podcast-Folge zu den Themen Alpha-Mann, Beta-Mann und Männlichkeit an:

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Was sind Anzeichen toxischer Männlichkeit?

Psychologen sind sich einig: Toxische Männlichkeit ist nicht nur für die Gesellschaft und die Opfer schädlich, sondern sogar für den betroffenen Mann selbst. Doch wie erkennen wir toxische Männlichkeit?

Diese Anzeichen und Verhaltensformen sind typische Warnsignale:

  • eine erhöhte Aggressivität 
  • Tendenz zu gewalttätigem Verhalten
  • Kontroll- und Machtausübung, vor allem Frauen gegenüber
  • Gewaltverherrlichung
  • Chauvinismus und Sexismus
  • Unfähigkeit, Emotionen und Empathie zu empfinden und auszudrücken
  • Unterdrückung oder Verdrängung der eigenen Emotionen
  • übertriebenes Konkurrenzdenken
  • ausgeprägtes Leistungsdenken 
  • Mobbingverhalten
  • höhere Risikobereitschaft
  • Isolation
  • psychische Probleme
  • Suchtverhalten (Drogen, Alkohol, Sex)
  • sexuelle Übergriffigkeit

Ein solch toxisches Männlichkeitskonzept kann zu gefährlichem Verhalten, ungesunden Entscheidungen und psychischen Problemen führen – und im Extremfall sogar in Suizid oder Femizid (geschlechtsspezifischen Tötungen von Frauen) münden.

Meist fällt es den „Tätern“ schwer, Hilfe zu suchen, da sie nach ihrem Verständnis von Maskulinität nicht als “schwach” dastehen wollen. Sie unterdrücken oder verdrängen Emotionen, ignorieren ihre Ängste und arbeiten nicht an ihrem geringen Selbstwertgefühl.

Toxische Männlichkeit Infografik
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Wie entsteht toxische Männlichkeit?

Wie sich toxische Männlichkeit und unser Rollenverständnis entwickelt und etabliert, ist komplex. Viele Faktoren spielen hier eine entscheidende Rolle und fließen ineinander über:

  • evolutionäre und biologische Aspekte (wie Genetik, Hormone und Fortpflanzung)
  • der Einfluss einer patriarchalen Gesellschaft
  • wie wir sozialisiert werden
  • welches Umfeld uns beeinflusst
  • wie wir sozio-kulturell geprägt sind
  • welche Rollen uns in unserer Kindheit von unseren Eltern vorgelebt werden
  • mit welchen Glaubenssätzen, Werten und Normen wir heranwachsen
  • mit welcher Religion wir aufwachsen
  • in welchem Kulturkreis wir leben
  • wie wir unsere Sexualität erfahren und leben

Schon im Kindheitsalter erlernen Jungen dieses gefährliche Verständnis von Männlichkeit. Viele Jungen wachsen mit der Annahme auf, stark sein zu müssen und keine Schwäche zeigen zu dürfen.

Die Heranwachsenden versuchen ihre Gefühle zu unterdrücken, um ja nicht Gefahr zu laufen, “zu verweichlichen” oder als “Mädchen” abgestempelt zu werden – sei es von der Peergroup (den Freunden) oder von den eigenen Eltern und Geschwistern.

Fallen im Umfeld folgende Sätze, ist das ein Hinweis auf gelebte toxische Männlichkeit:

  • “Jungs weinen nicht”
  • “Indianer kennen keinen Schmerz”
  • “Damit du einmal groß und stark bist, musst du….”
  • “Das ist was für Mädchen!”
  • “Du musst dich durchsetzen”
  • “Du musst ein richtiger Mann sein”
  • “Jungs prügeln sich eben”
  • “Jungs spielen nicht mit Puppen”
  • “Du bist voll schwul”

Solche destruktiven Glaubenssätze und Rollenbilder prägen Heranwachsende und legen den Grundstein für ein “falsches” Männerbild sowie eine verzerrte Selbstwahrnehmung. Das Umfeld erwartet häufig von Jungen, dass sie stereotypisch männliche Rollenbilder übernehmen, um den vermeintlichen sozialen Erwartungen gerecht zu werden.

Auf Seiten der Jungen sind Angst und der Erwartungsdruck oftmals sehr groß, dem stereotypen Männlichkeitsbild entsprechen zu müssen.

 Typische Erwartungen oder Vorstellungen sind:

  • “interessiere dich für Mädchen – nicht für Jungen”
  • “mag blau – statt pink”
  • “spiele mit Autos – nicht mit Puppen”
  • “spiele Fußball – Ballett und Reiten ist was für Mädchen”
  • “beim Fasching bist du Pirat – Mädchen sind Prinzessinnen”

Jungen, die dem konstruierten Männlichkeitsbild nicht entsprechen, erfahren mitunter Anfeindungen. Sie werden Opfer von Mobbing und haben Angst, nicht der Norm zu entsprechen und abgelehnt zu werden. Daraus kann sich das Selbstbild entwickeln, „falsch“ und nicht liebenswert zu sein.

Damit einher geht die Normalisierung des Machismus. Als ein “Macho” zu gelten, scheint demnach erträglicher, weniger schmerzhaft oder sogar “cooler” zu sein als ein “Weichei” zu gelten.  

Eltern gelten für Kinder als Vorbilder und prägen ihre Wahrnehmung und ihr Verhalten. Es ist erwiesen, dass Kinder ihre Eltern nachahmen. Einige Jungen erlernen und kopieren das Verhalten der Väter, die das Konzept der toxischen Männlichkeit verkörpern und an den Tag legen. Psychische und physische Gewalt zuhause ist hier nicht selten. 

Kinder erlernen somit toxische Maskulinität und wachsen in einem Mangel auf. Meist entwickeln Heranwachsende so kein gesundes Verhältnis zu sich selbst und ihrem Körper. Sie unterdrücken ihre Gefühle und können diese nicht zeigen oder verbalisieren.

Sie respektieren weder ihre eigenen Grenzen, noch die Grenzen anderer. Die erschreckende Konsequenz: eine steigende Tendenz zur Gewaltbereitschaft, Aggression, Depression und Suchtverhalten.


Warum ist toxische Männlichkeit gefährlich?

Das starre Konzept von stereotyper Männlichkeit prägt, wie Heranwachsende und Männer die Welt und ihre Mitmenschen wahrnehmen. Toxische Männlichkeit ist dann die Linse, durch die sie die Welt sehen und interpretieren. Es entsteht der Glaube, dass sie nur bestehen können, wenn sie diese destruktiven Geschlechterrollen erfüllen und verkörpern.

Indem Männer diese ausleben, richten sie mitunter schwere emotionale, psychische oder im schlimmsten Fall körperliche Schäden bei ihren Opfern an.

Toxische Männlichkeit (auch unbewusste) ist gefährlich, weil sie sich in folgenden destruktiven Verhaltensweisen und Mustern bahnbricht:

  • Aggressivität
  • fehlende Freundschaften und emotionale Beziehungen
  • Mobbing 
  • Schwierigkeiten in der Schule, in der Universität oder an der Arbeit
  • Probleme mit “Autoritätspersonen”
  • übertriebenes Konkurrenzdenken
  • Ablehnung und Repression von Frauen
  • Antifeminismus
  • eine hohe Gewaltbereitschaft
  • Gefängnisstrafen
  • Häusliche Gewalt
  • Trauma
  • Sexuelle Übergriffe

Auch Psychologenverbände wie beispielsweise die “American Psychological Association” (APA, weltgrößte Vereinigung) verweisen auf die Gefahren der “Toxic Masculinity” – und rufen zum Handeln auf. Die APA veröffentlichte (PDF) entsprechende Guidelines für Therapeut:innen, die mit männlichen Klienten arbeiten.

Die APA zeigt deutlich auf, dass toxische Männlichkeit gefährlich ist. Sie ist dabei nicht nur für die Opfer der Männer schädlich, sondern auch für die Männer selbst. Ein falsches, toxisches Männerbild (Selbstbild) kann sich demnach negativ auf die mentale Gesundheit der “Täter” auswirken.

Sie macht regelrecht krank und führt beispielsweise zu:

  • Depressionen
  • Stress
  • Probleme mit der eigenen Körperwahrnehmung
  • fehlende soziale Fähigkeiten
  • Alkohol- und Drogenkonsum bzw. Abhängigkeit
  • psychische Erkrankungen
  • Persönlichkeitsstörungen
  • Suizid

Und dennoch fällt es den Betroffenen schwer, Hilfe zu suchen. Die eigene Vorstellung, “kein richtiger Mann”, schwach und verweichlicht zu sein, wenn sie um Hilfe bitten, führt dazu, dass ihnen nicht rechtzeitig geholfen werden kann.

Warum sind meist Frauen Opfer von toxischer Männlichkeit?

In einer heterosexuellen Matrix stehen sich Männlichkeit und Weiblichkeit meist als bipolares Konstrukt gegenüber, sodass der Mann (mit einem stereotypen Männlichkeitsbild) alles abwehrt und ablehnt, das als “weiblich” bewertet wird. 

Dies kann bei der rosa Kleidungsfarbe beginnen, bei der frühkindlichen Wahl des Spielzeugs (Puppen oder Autos) bis hin zu der Annahme, dass Männer nicht weinen dürfen. 

Bestimmte Eigenschaften werden kategorisiert, in Schubladen gepackt und dem männlichen oder weiblichen Geschlecht bzw. Rollenbild zugeordnet:

  • Die Frau gilt als emotional – der Mann hingegen als rational.
  • Die Frau ist vermittelnd – der Mann dominant.
  • Die Frau ist weich – der Mann ist hart. 
  • Die Frau redet viel – der Mann ist wortkarg.

So entstehen Rollen, Schubladen, identitätsstiftende Zuschreibungen und vor allem Erwartungen an das Rollenbild und das Geschlecht. In diesem identitätsstiftenden und Rollen-geleiteten Konstrukt steigt der Druck, Erwartungen und Pflichten zu erfüllen. 

Wird dieses Konstrukt bzw. Rollenbild nun angetastet oder hinterfragt, entsteht Unsicherheit und Bedrohung. Daraus resultiert:

  • Ablehnung
  • Repression
  • Hass
  • Antifeminismus
  • Gewalt
  • Femizid

Durch das Konzept der toxischen Männlichkeit fühlen sich Männer insbesondere von Frauen bedroht, wenn diese stereotype Rollenbilder hinterfragen und Veränderungen bewirken wollen. Der daraus resultierende Hass trifft zum Beispiel Politiker:innen, Aktivist:innen und Journalist:innen, die für Veränderungen kämpfen.

Frauen werden aber auch im Netz, in emotionalen Beziehungen, im eigenen Haushalt und am Arbeitsplatz zur Zielscheibe von Hass und Gewalt. Antifeministen versuchen im Netz und auf Social Media, Frauen mit Beleidigungen und Drohungen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.

Toxic Masculinity zeigt sich auch in einer Internet-Subkultur, die sich Incels nennt. Der Begriff Incel leitet sich aus dem Englischen „involuntary celibates“ ab – also unfreiwillig zölibatär (enthaltsam). Diese Männerbewegung stammt aus den USA und besteht aus heterosexuellen Männern, die (nach eigenen Angaben) unfreiwillig keinen Sex haben. Sie ist gekennzeichnet durch ein hohes Maß an fragiler Männlichkeit (der Begriff beschreibt das Phänomen, dass Männer sich in ihrem “Mann-Sein” von Feminist:innen bedroht fühlen) und Selbstmitleid.

Die Incel-Männer eifern Vorbildern aus der Popkultur nach und entwickeln Ideologien, die Frauenhass, Rassismus und Antisemitismus als Grundlage haben. Mitglieder dieser Männerbewegung bezeichnen sich selbst häufig als Antifeministen. Die Konsequenz: Hass gegen Frauen im Netz und sogar tödliche Attentate. 

Mobbing und sexuelle Belästigung sind ebenfalls ein weit verbreitetes Phänomen der toxischen Maskulinität. Viele Frauen leiden an häuslicher Gewalt – sowohl physisch als auch emotional. Sie werden Opfer von Gaslighting (psychische Gewalt und emotionaler Missbrauch).

Toxische Männlichkeit in Beziehungen

In Beziehungen ist toxische Männlichkeit ein weit verbreitetes Phänomen. Es kann sich sehr deutlich zeigen – durch aggressives Verhalten, Machtausübung und emotionale oder körperliche Gewalt.

In sehr vielen Fällen kommt die toxische Art allerdings eher schleichend zum Vorschein, beispielsweise in einer Beziehung mit einem Narzissten. Toxische Männlichkeit in Beziehungen kann sich demnach eher subtil zeigen und wird oft nicht bewusst wahrgenommen. Viele Menschen verpassen es, sich einmal bewusst zu fragen: Was macht eine gute Beziehung für mich aus?

Selbst wenn Betroffene über einen langen Zeitraum unter der Beziehung leiden, sind sie sich zum Teil nicht über die gefährlichen Strukturen toxischer Männlichkeit bewusst. Es ist deshalb extrem wichtig, achtsam zu sein und toxische Beziehungen frühzeitig zu erkennen.

Die stark verbreiteten Gendernormen über männliche Autorität führen dazu, dass Frauen vermehrt kontrolliert und dominiert werden. Nicht immer äußert sich die toxische Männlichkeit unterschwellig, manchmal entlädt sie sich in Gewalt und Machtausübungen.

Eine globale Studie (PDF) der United Nations zeigt deutlich auf, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen Belästigung sowie Gewalt gegen Frauen auf der einen Seite und Gender-Stereotypen und Rollenkonzepten auf der anderen Seite gibt.

Die Studie zeigt: Jungen und Männer, die starr an Genderrollen und stereotypen Männlichkeitskonzepten festhalten, neigen eher dazu, Gewalt gegen ihre Partnerinnen anzuwenden.

Warnsignale: Toxische Männlichkeit in Beziehungen

Diese Warnsignale können auf toxische Männlichkeit in einer Beziehung hindeuten:

  • Übermäßige Kontrolle (beispielsweise kontrolliert der Partner die Finanzen)
  • Der Partner macht Vorschriften (er trifft alle Entscheidungen und sagt, was zu tun und zu lassen ist)
  • Obwohl beide berufstätig sind, muss die Partnerin alle Aufgaben alleine machen

(den Haushalt schmeißen und die Kinder versorgen seien “Aufgabe der Frau”)

  • Die Bedürfnisse eines Partners stehen immer an erster Stelle – nur sein Wille zählt
  • Übermäßige Kritik (egal um was es geht, der Partner kritisiert fortwährend)
  • Freunde und Bekannte bezeichnen den Partner häufig als “Macho”
  • Die körperliche Autonomie wird nicht respektiert (der Partner entscheidet beispielsweise über “angemessene Kleidung” und bewertet konstant das Aussehen)
  • Der Partner überschreitet regelmäßig die Grenzen des anderen Partners
  • Der Partner verhält sich aggressiv und repressiv
  • Der Partner wird emotional übergriffig, ausfällig, beleidigend und abwertend
  • Es fallen sexistische Bemerkungen

7 Wege aus der toxischen Männlichkeit

Das Phänomen “Toxische Männlichkeit” ist komplex und die Konstrukte traditioneller Männlichkeitsbilder und Genderrollen so fest verankert, anerzogen und etabliert, dass sie sich nicht über Nacht eliminieren lassen.

Der soziale, kulturelle, familiäre oder partnerschaftliche Druck und die Erwartungen innerhalb des Korsetts “Männlichkeit” sind oftmals hoch.

Mit allen Mitteln wird versucht, in das “Korsett Maskulinität” hineinzupassen, dem Konstrukt gerecht zu werden und es aufrecht zu erhalten. Meist aus Angst, Unsicherheit, Scham oder Unwissenheit.

Die Betroffenen suchen oft keine Hilfe. Weder im Familien- und Freundeskreis, noch durch professionelle-/psychologische Unterstützung.

Dennoch ist es so wichtig, wahrzunehmen und anzuerkennen, dass Männlichkeitsrollen bloß ein Konstrukt sind. Wir müssen uns ermächtigen, dieses Konstrukt zu hinterfragen, zu reflektieren, Hilfe zu erbitten – und schließlich Veränderungen und Gleichberechtigungen zu bewirken.

Männlichkeit als Konstrukt anerkennen

Eine allgemeingültige Definition oder Zuschreibung von Männlichkeit existiert einfach nicht.

Was wir als männlich bewerten, hängt ganz stark davon ab, wie wir geprägt sind. In anderen Worten: in welchem Umfeld wir uns bewegen, in welcher Gesellschaft und Kultur wir aufwachsen und welche Wertvorstellungen uns anerzogen wurden.

Männlichkeitskonstrukt hinterfragen

Auf persönlicher und individueller Ebene können wir einen Anfang machen, indem wir uns die Frage stellen, was unser eigenes stereotypisches Bild von Männlichkeit ist. 

  • Wie definiere ich eigentlich Männlichkeit?
  • Welche Zuschreibungen an Werten gebe ich diesem Konstrukt?
  • Woher kommen diese Zuschreibungen?
  • Können diese Werte und Normen toxisch für mich und meine Mitmenschen sein?
  • Wie kann ich diese verändern? Wo kann ich Hilfe und Unterstützung dabei bekommen?

Wir können das vorherrschende Männlichkeitsbild stets reflektieren, hinterfragen, umwerfen und eine neue und gesündere Definition für uns finden.

Wichtig ist hier, sich mit Rollenbildern und Genderfragen individuell und sozio-kulturell kritisch auseinanderzusetzen.

Mit dem Umfeld sprechen

Debattiere stereotype Männlichkeitsbilder mit deinen Freunden, der Familie, mit Kolleg:innen, mit dem Partner und mit deinen Kindern. So können wir in unserem direkten Umfeld dazu beitragen, dass Rollenbilder neu gedacht werden – und sich langsam verändern.

Es ist ein wichtiger Schritt, gemeinsam zu reflektieren, sensibel zu werden und Männlichkeit als Konstrukt neu zu definieren. Es hilft dabei, alte Muster, Rollenbilder und Gewohnheiten langfristig loszulassen, zu verändern und toxischer Männlichkeit entgegenzuwirken.

Beginne auch in deiner Beziehung, über die vorherrschende Rollenverteilung und die Gleichberechtigung  zu sprechen. Reflektiert die Art und Weise der Kommunikation, äußert eure Bedürfnisse und Ängste. So könnt ihr einander besser verstehen, sensibler werden und Muster in eurer Beziehung langfristig aufbrechen.

Positive Vaterfiguren

Psychologen verweisen im Zusammenhang mit der toxischen Männlichkeit deutlich auf die Vorbildfunktion von Vätern. Untersuchungen zeigen, dass Väter in ihrer Rolle einen großen Einfluss darauf haben, welches Verhalten die Kinder mit den Begriffen “Mann sein” und “Männlichkeit” verknüpfen.

Sie verkörpern ein Konzept der Männlichkeit, das ihre Kinder adaptieren. Als Vorbilder vermitteln sie Werte und Normen und prägen den Heranwachsenden in seiner Selbstwahrnehmung, seinen Glaubenssätzen und Wertvorstellungen.

Natürlich hat auch die Mutter eine große Verantwortung. Die Überwindung von ungesunden Rollenbildern und toxischen Verhaltensweisen kann nur gelingen, wenn Eltern ihren Kindern gleichberechtigte Rollenbilder vorleben.

Als Elternteil kannst du dir die Frage stellen:

  • Welche Rolle verkörpere ich als Elternteil?
  • Welche Werte und Glaubenssätze will ich meinem Kind mit auf den Weg geben?
  • Welche Worte und Sätze verwende ich, die die Selbstwahrnehmung meines Kindes prägen? (“Jungs weinen nicht!” , “Indianer kennen keinen Schmerz”)
  • Erlaube ich meinem Kind, alle Gefühle leben zu dürfen? 
  • Gibt es stereotypische Rollenbilder/Rollenverteilungen in unserer Familie und welchen Einfluss haben sie auf mein Kind?
  • Wie kann ich mein Kind aufklären, damit es ein gesundes Verständnis von Männlichkeit entwickelt?

Sprich mit deinem Kind über seine Emotionen und zeige ihm, dass Emotionen berechtigt und nichts “Falsches” sind – es gibt hier keine Emotionen, die per se männlich oder weiblich sind.

Reflektiert und hinterfragt gemeinsam veraltete Rollenbilder und Verhaltensweisen. 

Emotionen normalisieren

Emotionen sind nicht geschlechtsspezifisch und dürfen von jedem/jeder gleichberechtigt gelebt werden. Ja, auch Männer dürfen weinen und alle Emotionen leben und zeigen. Dies ist kein Anzeichen von Schwäche. Auch wenn ein veraltetes Männerbild uns dies weismachen will (“starke Jungs heulen nicht”).

In jedem Menschen wohnt das Bedürfnis inne, Emotionen zu fühlen und auszudrücken. Dies ist gesund und gehört zum Menschsein dazu – und ist weder weiblich, noch männlich. 

Werden Emotionen unterdrückt oder nicht gelebt, kann sich das langfristig mental und physisch negativ auf die Gesundheit auswirken.

Als betroffene Frau: Hilfe suchen

Die erschreckende Wahrheit ist, dass meist Frauen Zielscheibe und Opfer toxischer Männlichkeit werden.

Dies kann subtil und schleichend innerhalb emotionaler Beziehungen, im Freundes- und Bekanntenkreis oder am Arbeitsplatz stattfinden und unbemerkt bleiben. 

Oder es zeigt sich sehr deutlich durch Machtausübung, Dominanz, Aggression, Sexismus, psychische Gewalt (Gaslighting) oder sexuelle Gewalt. Im schlimmsten Fall mündet es in Femizid (Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts).

Fühlst du dich betroffen oder möchtest eine betroffene Frau unterstützen, zeige ich dir hier Wege auf, wie du das tun kannst:

  • Du musst nicht einfach widerstandslos mit negativen Menschen umgehen. Erlaube dir, Grenzen zu setzen und NEIN sagen zu dürfen. Indem du Nein sagst, sagst du JA zu dir selbst.
  • Teile deine Gefühle, Ängste und Sorgen mit einer vertrauten Person. Unterdrücke oder verstecke deine Ängste nicht. Habe keine Angst, um Hilfe zu bitten. Es zeugt von unglaublicher Stärke.
  • Befindest du dich in einer Beziehung, reflektiere diese und die bestehenden Rollenmuster. Erkennst du gefährliche Strukturen? Fühlst du dich stark kontrolliert? Erkennst du Machtausübungen und Dominanz? Mache dir die destruktiven Beziehungsmuster bewusst und teile sie mit deinem Partner
  • Erlaube dir wirklich loszulassen und zu gehen, wenn du dich in einer toxischen Beziehung befindest – dein Wert als Mensch hängt nicht von der Wertschätzung, Bewunderung und Liebe deines Partners ab. Lies hierzu bitte meine Beiträge loslassen lernen und über Trennung hinwegkommen.
  • Stärke deinen Selbstwert und übernimm Verantwortung für dich und dein Leben! Lerne dich selbst zu lieben und als Priorität in deinem Leben anzusehen. Du hast es verdient, ein glückliches Leben zu führen! Niemand darf daran rütteln.
  • Erlaube dir, dir selbst und den Menschen zu vergeben, die dich verletzt haben.
    Vergebung ist essentiell, um Heilung zu finden und dich selbst zu ermächtigen.
  • Setz dich für die Überwindung von stereotypen Geschlechterrollen und Klischees ein. Nochmal: Männlichkeit und Weiblichkeit sind bloß Konstrukte. Hinterfrage sie, rede darüber, erschaffe neue und gesündere Konzepte, kläre dein Umfeld auf, setze bewusst Grenzen und werde aktiv in dem Kampf um die Überwindung veralteter Geschlechterrollen. Werde Vorbild für alle Frauen und Männer!
  • Werden deine Grenzen dennoch überschritten und du fühlst dich bedroht und in Not, bitte umgehend um Hilfe – wende dich an Freunde, Familienmitglieder, Therapeut:innen, Hilfstellen für Frauen oder die Polizei
  • Eine explizite Anlaufstelle für Frauen bei jeglicher Form von Gewalt ist das Hilfetelefon: 08000 116 016  – kostenlos und 24h erreichbar.

Als Mann: Gesunde Bewältigungsstrategien finden

Dies ist oftmals der schwierigste Schritt: um Hilfe bitten und sie annehmen.

Viele Männer und Heranwachsende entwickeln ungesunde Bewältigungsstrategien und betreiben Selbstsabotage, in dem sie vor ihren Emotionen flüchten, sie unterdrücken oder ein Suchtverhalten entwickeln (zum Beispiel exzessiven Alkohol-, Drogen-, und Sexkonsum).

Emotionen, wie Trauer, werden oftmals in Aggression und Gewalt ausgedrückt.

Sie münden oft in Depressionen und im schlimmsten Fall in Suizid oder der Gewalt an Mitmenschen. Das Wissen um gesunde Bewältigungsstrategien fehlt und die Angst oder Ohnmacht ist zu groß, um nach Hilfe zu suchen.

Doch damit verletzen wir nicht nur unsere Mitmenschen, sondern auch uns selbst.

Finde gesunde Bewältigungsstrategien und Hilfe, indem du…

  • all deine bereits bestehenden Werte, Muster und Glaubenssätze im Hinblick auf deine Männerrolle reflektierst und hinterfragst
  • dir die Frage stellst, ob antifeministische und patriarchalische Strukturen in deiner Denk- und Verhaltensweise existieren
  • dir erlaubst, alle Emotionen fühlen zu dürfen
  • deine Emotionen nicht mehr verdrängst und dich ablenkst
  • einen Menschen in deinem Leben findest, dem du vertraust und mit dem du über deine Gefühle und Sorgen reden kannst
  • keine Angst haben brauchst, um Hilfe zu bitten – es ist KEIN Anzeichen von Schwäche
  • eine:n Therapeut:in oder therapeutische Anlaufstelle aufsuchst

Hier findest du Anlaufstellen:

  • Die Telefonseelsorge bietet eine kostenlose und anonyme Beratung rund um die Uhr: 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222
  • Nummer gegen Kummer: Kinder- und Jugendtelefon: 116 111,  Elterntelefon: 0800-111 0 550

Fazit

“Männlichkeit” und “Weiblichkeit” sind Konstrukte. Toxische Männlichkeit (auch toxic masculinity genannt) ist ein gefährliches Konzept, das schädlich für die Gesellschaft und das gesamte Umfeld – und sogar den betroffenen Mann selbst ist. Es basiert auf sozialen und kulturellen Normen und veralteten stereotypen Rollenbildern.

Insbesondere Frauen werden Zielscheibe der toxischen Maskulinität und erleiden Hass und Gewalt – zu Hause, in Beziehungen, am Arbeitsplatz, im Netz, auf Social Media und in der Öffentlichkeit.

Der Kampf gegen toxische Verhaltensweisen bedarf viel Reflexion und Aufklärung, intensivere Auseinandersetzung mit der Geschlechterforschung, Strukturen und Rollenvorstellungen.

Beginne bei DIR, in dem du DEINE Wahrnehmung, Rollenzuschreibung und Verhaltensweisen hinterfragst und gegebenenfalls veränderst. Setze dich für Gleichberechtigung und die Überwindung von patriarchalischen Strukturen ein. Stärke deinen Selbstwert, definiere deine Grenzen und habe keine Angst davor, um Hilfe zu bitten.

Häufige Fragen

Was ist toxische Männlichkeit?

Der Begriff beschreibt ein destruktives und gefährliches Verhalten, das mit einem traditionellen Verständnis von Männlichkeit einhergeht.

Was sind typische Anzeichen?

Sexismus, erhöhte Aggressivität, Dominanz-Denken, übertriebenes Konkurrenzdenken, Kontroll- und Machtverhalten, Empathielosigkeit und die Unfähigkeit, Emotionen zuzulassen.

Wie begegnet man toxischer Männlichkeit?

Betroffene sollten klare Grenzen setzen und sich gegebenenfalls Hilfe aus ihrem Umfeld holen. Gesellschaftlich ist es wichtig, „Männlichkeit“ als Konstrukt anzuerkennen, das es zu hinterfragen gilt. Wir sollten Emotionen normalisieren und stereotype Geschlechterrollen kritisch sehen.

Über den Autor

Über den Autor

Chris Bloom ist Systemischer Therapeut, Autor, Podcaster und Speaker. Nach einem Studium der Gesundheits­ökonomie (M.Sc.) arbeitete Chris im Gesundheits­bereich. Seit 2017 ist Chris als Coach tätig und hat sich auf die Themen Selbstvertrauen, Selbstliebe und Selbstkenntnis spezialisiert.

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Chris Bloom

Ich bin Chris Bloom – Systemischer Therapeut, Gesundheitsökonom (M. Sc.), Autor, Podcaster, Speaker und Coach. Unsere Gedanken und die richtige innere Haltung empowern uns, unser Leben nach unseren Wünschen zu kreieren. Das Fundament hierfür bilden die drei Säulen: Selbstvertrauen, Selbstliebe und Selbstkenntnis. Diese sind für uns individuell erlernbar – wie das Einmaleins in der Schule. Ich helfe dir dabei, dieses Fundament zu schaffen – damit du das Leben leben kannst, das du dir wünscht. Infos zu meiner Vita und Vision: Wer ist Chris Bloom?

1 Kommentar

  1. Dirk

    Toller Artikel!
    Verständlich und leicht zu lesen!
    Sehr gute Zusammenfassung.
    Vielen Dank dafür und bitte mehr davon 😉

    Gruß

    Dirk

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